Frühjahrsversammlung des Historischen Vereins für den Niederrhein in Neuss am 13. Mai 2000

Grund für die Ortswahl war die 950-Jahrfeier der Übertragung der Reliquien des stadtrömischen Märtyrers Quirinus nach Neuss, ein Jubiläum, dem nicht nur kirchenhistorisch, sondern auch für die Stadtgeschichte von Neuss größte Bedeutung zukam. Die Jahrestagung stand in enger zeitlicher Verbindung zu den vielfältigen Veranstaltungen, die von der Stadt Neuss, aber auch besonders von der St.-Quirinus-Pfarrei in Zusammenarbeit mit der Erzdiözese Köln durchgeführt wurden. Bei der Eröffnung durch den Vorsitzenden, Prof. Dr. Norbert Trippen, sprach dieser die große Bedeutung von Neuss, Sitz eines Archidiakonats und Hauptstadt des Niederstifts, für die Geschichte von Erzdiözese wie Erzstift Köln an und bezeichnete das Quirinus-Münster und seine Vorgängerbauten als den Kristallisationspunkt der dahin führenden historischen Entwicklungen.

Nach Begrüßungen durch mehrere Vertreter der Stadt Neuss und durch den Altoberbürgermeister Hermann Wilhelm Thywissen (dem letzten Ratsvorsitzenden von Neuss als einer kreisfreien Stadt) folgten Vereinsbericht und Kassenbericht sowie die Entlastung des Vorstandes. Es wurde wiederum deutlich, dass die Finanzen des Vereins nur durch organisatorische Einsparungen bei der Herausgabe der Annalen, die keinen Qualitätsverlust mit sich bringen, im derzeitigen „positiven Bereich“ gehalten werden können.

Nach den Regularien folgten zwei Vorträge, die beide in Beziehung zur Historiographie über die Belagerung von Neuss 1474/75 standen. Der erste Vortrag – Referent war Prof. Dr. Rolf Nagel, der Direktor des Neusser Stadtarchivs – trug den Titel „Eine evangelische Chronik? Anmerkungen zur Wierstraet-Chronik von 1564“. Professor Nagel thematisierte eine heute weitgehend außer bei wenigen Kirchenhistoriken vergessene Episode oder vielleicht sogar kurze Epoche der Neusser Stadtgeschichte, nämlich die Jahre eines bedeutenden protestantischen Einflusses im Rat der Stadt nach der Mitte des 16. Jahrhunderts. Wie entscheidend die nur kurze evangelische Einflussnahme auf das Stadtregiment wirklich war, ist allerdings in der zu diesem Punkt wenig umfangreichen Forschung noch sehr umstritten. Der Referent beschäftigte sich mit der in jenen Jahren erschienen dritten Auflage von Wierstraets Chronik „Dye hystorij des beleegs van Nuys“. Die beiden ersten Auflagen waren 1476 bzw. 1497 in Köln erschienen und unterschieden sich fast nur in formaler Hinsicht. Die dritte 1564 ebenfalls in Köln verlegte Fassung vermittelte dem Leser nun eine im evangelischen Sinne veränderte Textgestalt. Professor Nagel konnte in seinem Vortrag den erheblichen Umfang in der „Protestantisierung“ der Chronik deutlich dokumentieren und damit einen gewichtigen neuen Beitrag zur Erforschung der Neusser Stadtgeschichte leisten.

„Neuss und Burgund: Der Angriff von 1474 im literarischen Reflex“ war der Titel des Vortrags von Prof. Dr. Hans-Joachim Lope (Universität Marburg). Der Referent behandelte die Rezeptionsgeschichte der Belagerung von Neuss in der Literatur des 19. und besonders des 20. Jahrhunderts vor allem von der Romanistik her. Neben der französischen und wallonischen Literatur wurden aber auch deutsche Romane und Erzählungen berücksichtigt. Erreichtes Ziel des Referats war nicht so sehr die jeweilige ästhetisch-literarische Bewertung als vielmehr die Einordnung der Aussagen in die politischen Standpunkte der Autoren. Der Vortrag war insgesamt ein Meisterstück klassischer Ideologiekritik.

Der erste Programmpunkt des Nachmittags war der Besuch der Ausstellung „Quirinus: Tribun, Martyrer, Stadtpatron“ im Clemens-Sels-Museum. Die Führung übernahm die Museumsleiterin Frau Dr. Christiane Zangs. Abschluß und Höhepunkt der Tagung stellte die Besichtigung des Quirinus-Münsters dar. Bei der Führung auch durch die romanische Krypta und über die Emporen, auf denen Teile des Kirchenschatzes ausgestellt waren, erklärte Dr. Max Tauch, der frühere Direktor des Clemens-Sels-Museums, die ihm langjährig vertrauten Kunstwerke mit Betonung ihrer jeweiligen theologischen Bedeutung, aber auch gemäß dem historischen Ort ihrer Entstehung. Dr. Tauch verband in seinen Ausführungen hohes persönliches Engagement, das die Teilnehmer der Tagung begeisterte, mit größter wissenschaftlicher Exaktheit.

Heinz Finger

Köln

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