Herbstversammlung des Historischen Vereins für den Niederrhein am 14. September 2019 auf Schloss Rheydt
Bei schönstem sonnigem Herbstwetter trafen sich knapp über 50 Vereinsmitglieder und Gäste zu einer abwechslungsreichen und an Programmpunkten vielgestaltigen Herbstversammlung. Bemerkenswerterweise tagte der Verein, wie der Vorsitzende Dr. Nobert Schloßmacher in seiner Begrüßung herausstellte, in seiner nunmehr 165-jährigen Geschichte erstmals an diesem Ort, wo er vom Museumsdirektor des Schlosses, Dr. Karlheinz Wiegmann, im Rittersaal empfangen wurde. Wiegmann richtete zu Beginn der Tagung ein Grußwort an die Versammelten.
Da keine Vereinsregularien zu erledigen waren, stellte Prof. Dr. Klaus Militzer (Köln) seine jüngst als Sonderveröffentlichung des Vereins erschienene Untersuchung über die spätmittelalterlichen kurkölnischen Residenzen vor (Verwaltete Herrschaft. Die kurkölnischen Residenzen im Spätmittelalter [Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein. Neue Folge 4], 348 Seiten, elf s/w-Abb, 1 Karte, gebunden, Böhlau Verlag Köln, ISBN: 978-3-412-51569-0). Militzer skizzierte sein Werk in Grundzügen, wobei deutlich wurde, dass er verfassungsgeschichtliche Themen geschickt mit Beobachtungen des Alltags und der täglichen Bewirtschaftung dieser Burgen verbinden konnte.
Im ersten Vortrag des Vormittags referierte Professorin Dr. Stefanie van de Kerkhof (Krefeld/Universität Mannheim) über die Krefelder Seiden- und Samtindustrie und das Konsumverhalten in diesem ökonomischen Segment während der Weimarer Republik. Dabei ließ sie die generelle Entwicklung am linken Niederrhein nicht außer Acht, zumal die Krefelder Industrie mit den Standorten ihrer Produktion in diesen Raum ausstrahlte. Van de Kerkhof legte die zeitweise auch krisenhafte Entwicklung jener vielfach, zumal im aktuellen „Bauhaus-Jahr“ durchweg als „goldene Jahre“ dargestellten Phase dar und ging neben dem teilweise konsumabhängigen Wandel der Geschlechterrollen im Detail auf die Strategien ein, mit denen die Unternehmerschaft dem nachteiligen ökonomischen Verlauf entgegenzuwirken versuchte (Zentralisierung, Rationalisierung, Öffnung für sich schnell wandelnden Modetrends, Ausstellungen, Avantgarde-Architektur von Ludwig Mies van der Rohe und Bauhaus-Lehrende für die Krefelder Hochschulen; siehe dazu auch ihren Beitrag in diesem Heft).
Prof. Dr. Ralf Georg Czapla (Universität Heidelberg) widmete sich im zweiten Vortrag der recht unbeholfenen schriftstellerischen Tätigkeit des gebürtigen Rheydters und NS-Propagandaministers Joseph Goebbels bzw. – nach einigen Bemerkungen zur Bearbeitung dieses Themas durch Thomas Mann oder auch Charlie Chaplin – der parodistischen Rezeption seines Romans „Michael“ durch den niederrheinischen Schriftsteller Hans Dieter Hüsch. Der Kabarettist rezitierte den Roman in Auszügen im Jahr 1974 auf einer Schallplatteneinspielung. Mit den in dieser Form für sich sprechenden Aussagen suchte er die Hörer zur Reflexion über das Gesagte anzuregen, ohne einen „anklagenden oder mahnenden Zeigefinger“ zu erheben. Hüsch sei es, so Czapla, gelungen, Goebbels Denken psychologisch plausibel zu machen, d. h. er versuchte, die psychische Verfassung des Autors offenzulegen.
Die regen Diskussionswünsche zu beiden Vorträgen mussten ungeachtet des pünktlichen Ablaufs stark eingeschränkt werden, da die Teilnehmer zur Vorburg gebeten waren, wo der langjährige Schriftleiter und heutiges Ehrenmitglied des Vereins, Dr. Wolfgang Löhr (Mönchengladbach) eine Ausstellung zu neuzeitlichen Kartenwerken eröffnete, welche die seit über 40 Jahren bestehende niederländisch-deutsche Stiftung „Peel-Maas-Niers“ erarbeitet hatte (siehe auch http://www.peel-maas-niers.eu/de/). Die Einführung von Löhr, der als Vorsitzender der „Stichting“ die Präsentation zusammen mit dem Venloer Gemeentearchivar Drs. Frans Hermans maßgeblich erarbeitet hatte, stellte die verschiedenen niederrheinischen Festungen als konstituierende Elemente der jeweiligen Stadt- und Regionalhistorie dar.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Museumsrestaurant schlossen sich Führungen durch das Schloss und die Außenanlagen an, die den Teilnehmern den Renaissancebau samt seinen wehrhaften Anlagen in unterschiedlichen Facetten und Funktionen nahebrachten. Aus organisatorischen Gründen war kein gemeinsamer Ausklang bei Kaffee und Kuchen möglich, was aber die meisten Gäste nicht abhielt, in kleinen Gruppen den allerseits als gelungenen empfundenen Tag im Museumscafé ausklingen zu lassen.
Olaf Richter, Krefeld