Bericht über die Herbsttagung des Historischen Vereins am 6. Oktober 2023 in Erkelenz


Altes Rathaus

Die Herbsttagung begann mit einer Führung durch den historischen Ortskern von Erkelenz und Besichtigungen der St. Lambertus-Kirche und der geldrischen Landesburg. Vorsitzender Dr. Norbert Schloßmacher begrüßte sodann die 43 Teilnehmer, darunter einige Gäste, und den Ehrenvorsitzenden Prof. Dr. Leo Peters im Alten Rathaus. Der Historische Verein tage bereits zum sechsten Mal in Erkelenz, zum ersten Mal 1901. Er verweist auf die Aktualität des Tagungsthemas. So habe auch der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz sein jüngstes Heft der Reihe ‚Heimatpflege‘ (3/2023) dem Braunkohlerevier gewidmet (Keyenberg – ein Dorf im Umbruch). Ausdrücklich dankt er dem Heimatverein der Erkelenzer Lande für die großzügige Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung. Die Vorsitzende des Vereins, Frau Rita Hündgen, heißt die Versammlung herzlich willkommen. Dr. Schloßmacher kündigt das Erscheinen des nächsten Annalenbandes (Nr. 226) vor dem Weihnachtsfest an und dankt der Schriftleiterin Prof. Dr. Andrea Stieldorf für ihren Einsatz.

Günther Merkens trägt sodann zur "Geschichte der Stadt Erkelenz von den Anfängen bis zum 21. Jahrhundert" vor. Aufgrund der fruchtbaren Bodenverhältnisse kann man grundsätzlich von einer langen Siedlungskontinuität im Erkelenzer Raum ausgehen. Die ältesten Funde stammen aus dem Neolithikum. Ein bandkeramischer Holzbrunnen aus der Zeit rd. 5.300 v. Chr. aus dem Ortsteil Kückhoven belegt, dass aufgrund der fehlenden Fließgewässer früh Brunnen angelegt wurden. Die Funddichte aus der römischen Zeit (Ziegel, Gräber) ist hoch, eine Dorfanlage nicht nachgewiesen. Bekanntestes Fundstück ist die Jupitersäule aus dem 3. Jh., die 1905 im Ortsteil Kleinbouslar gefunden wurde und sich heute im Rheinischen Landesmuseum in Bonn befindet. Erstmals erwähnt wird Erkelenz in einer Schenkungsurkunde Kaiser Otto I. an das Marienstift in Aachen vom 17. Januar 966, die in einer Abschrift aus dem 11. Jh. erhalten ist. Das Aachener Marienstift übte bis zum Ende des Alten Reiches 1803 die Grundherrschaft in Erkelenz aus. Seit dem 11. Jh. entwickelten die Grafen von Geldern das Geldrische Oberquartier landesherrschaftlich. Erkelenz bildete als geldrische Exklave in der Grafschaft Jülich ein eigenes Amt und unterstand dem Drosten in Krickenbeck. 1326 verlieh Graf Reinald II. von Geldern Erkelenz die Stadtrechte. In der Stadt wurde die geldrische Landesburg errichtet, die erstmals 1377 urkundlich erwähnt ist. Eine Karte von Jakob von Deventer aus dem Jahr 1550 zeigt die befestigte Stadtanlage mit Mauer, Toren, Türmen und Gräben. Nach dem verlorenen Krieg gegen Kaiser Karl V. ging das Herzogtum Geldern im Vertrag von Venlo 1543 an die Habsburger über, Erkelenz fiel an die Spanischen Niederlande. Im Frieden von Utrecht zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges wurde Erkelenz 1713 dem Herzogtum Jülich zugeschlagen. Aus der ‚Franzosenzeit‘ (1794 bis 1815) ist ‚Haus Spies‘, 1806 im Couvenstil errichtet, erhalten. 1815 wurde Erkelenz preußisch und blieb bis zur Kommunalen Neugliederung 1972 Kreissitz. Nach der Stadterhebung begann aufgrund der Zollfreiheit eine wirtschaftliche Blütezeit infolge des Flachs-, Leinen- und Ölhandels mit zahlreichen Markttagen. 1458 wurde die Lambertuskirche nach dem Einsturz des Vorgängerbaus neu errichtet und reich ausgestattet. Nach dem Brand des 1326 errichteteten Gewanthuys wurde das ‚Alte Rathaus‘ 1541-46 neu errichtet. Im Erdgeschoss fanden in der offenen Spitzbogenhalle der Markt und Gerichtsverhandlungen statt. 1542 ließ sich Kaiser Karl V. persönlich in Erkelenz huldigen. Brände (1540, 1674, 1684), Zerstörungen und die Verschiebung der Handelsrouten führten zum wirtschaftlichen Niedergang. Die Befestigungsanlagen wurden seit dem Ende des 16. Jh.s nicht mehr instand gehalten und 1817/18 vollends niedergelegt, von der Landesburg ist der ehemalige Bergfried erhalten. Im 19 Jh. begann mit Firmengründungen (Stecknadelfabrik 1825, Textil 1854, Internationale Bohrgesellschaft 1902) die Industrialisierung, bedeutend war der Eisenbahnanschluss 1856. Vor dem I. Weltkrieg gab es fünf Ziegeleien in Erkelenz. Von 1918 bis 1926 war die Stadt durch französische und belgische Truppen besetzt. Im Verlauf des II. Weltkrieges wurde Erkelenz 1944/45 mehrfach aus der Luft angegriffen, zuletzt am 23. Februar 1945. Die Innenstadt und fast alle öffentlichen Gebäude wurden zerstört. Am 26. Februar 1945 besetzten US-Truppen Erkelenz, im Juni wurde die Stadt Teil der britischen Besatzungszone. Die Aufräum- und Enttrümmerungsarbeiten begannen umgehend. Von der Pfarrkirche konnte der Kirchturm erhalten werden, das Kirchenschiff neu errichtet, das ‚Alte Rathaus‘ wurde wiederhergestellt. Vordringlich war die Schaffung von Wohnraum. In der Nachkriegszeit begann die Ausweitung des Braunkohletagebaus, der die Stadt Erkelenz bis heute intensiv beschäftigt.

Dr. Christian Möller referiert anschließend zum Thema: ‚„Landschaft in Not. Braunkohletagebau, Umweltfolgen und demokratischer Wandel im Rheinischen Revier". In seinem ‚Werkstattbericht‘ stellt er zunächst fest, dass zwar zahlreiche Einzelstudien zur Geschichte des Braunkohletagebaus vorliegen, aber eine Gesamtbetrachtung, die die verschiedenen sozial-, wirtschafts-, technik- und politikgeschichtlichen Zusammenhänge in den Blick nimmt, bislang fehlt. Unter diesem Aspekt gibt er im Folgenden einen Überblick über die bedeutenden Entwicklungslinien zwischen 1945 und 1990. Drei Grundlagen haben die Nachkriegsgeschichte des Tagesbaus wesentlich beeinflusst: die Grundsatzentscheidung zur Verstromung der Braunkohle, die beträchtliche Ausdehnung des Tagesbaus (Inden 1957, Hambach 1978, Garzweiler 1983) mit einer Teufe von bis zu 400 m und dem Einsatz von Großtechnik (Bagger) sowie die betriebliche Konzentration. (1949 bauten 15 Gesellschaften in 23 Gruben ca. 55 Mio. t Rohbraunkohle ab, 1983 förderte Rheinbraun alleine im Tagebau Fortuna-Garsdorf knapp 46 Mio. t Rohbraunkohle.) Bereits 1948 kam es im Landtag NRW zu einer parteiübergreifend abgestimmten Neuordnung des Rheinischen Reviers unter der Federführung des Kölner Regierungspräsidenten Wilhelm Warsch. Ziel des politischen Handelns war es, die bislang erheblich vernachlässigte Rekultivierung zu verstärken und durch Einbindung der Betroffenen zu einer breiten Akzeptanz des Braunkohletagebaus zu gelangen. So wurde 1950 die dreiteilige sogenannte Lex Warsch verabschiedet (Braunkohlegesetz 25.4.1950): Die Gesetze sahen eine verbindliche Gesamtplanung vor, die Errichtung einer Gemeinschaftskasse zu dessen Finanzierung sowie eine Änderung der bergbaugesetzlichen Vorschriften, die konkrete Betriebspläne und Einzelgenehmigungen festschrieben. Als wesentliches Planungsinstrument wurde der Braunkohleausschuss eingerichtet. Die Zusammensetzung des Braunkohleausschusses wurde schrittweise verändert: 1950 20 Mitglieder, 1979 31 ohne Betreibervertreter, 1989 40 incl. Vertreter der Naturschutzverbände. Zunächst legte man großen Wert auf das Konsensprinzip, man wollte die Beteiligten ‚zur Zusammenarbeit zwingen‘ (Werner Schürmann 1951). Die Dominanz der wirtschaftlichen Interessen führte von 1957 an zu einer stärkeren Artikulation kommunaler Interessen, die vor allem von der AG Indengebiet e.V. betrieben und auch vom gebürtigen Indener, dem Landtagspräsidenten Wilhelm Johnen unterstützt wurde. Ende der 1970er Jahre begann der politische Konsens zu bröckeln. 1977 stellte die ‚Hambacher Gruppe‘ in der RWTH Aachen eine Studie vor, die sich kritisch mit dem Braunkohletagebau und dessen Folgen beschäftigte. 1982 gründete sich der Aktionsverein Robin Wood, 1985 erschien das Buch ‚Verheizte Heimat. Der Braunkohletagebau und seine Folgen‘, kritische Fragen bei den Hauptversammlungen des RWE-Konzerns nahmen zu, vor allem nach Beginn der Planungen für den Tagebau Garzweiler II 1987. Mit der Änderung des Landesplanungsgesetzes 1989 wurde mit Dorothea Schubert die erste Vertreterin der Naturschutzverbände in den Braunkohleausschuss aufgenommen, allerdings nur mit beratender Stimme. Die politische Notwendigkeit des Tagebaus wurde Ende der 1980er Jahre jedenfalls grundsätzlich infrage gestellt, das Prinzip des Korporatismus aus den 1950er Jahre nicht mehr tragfähig, das Ende des Braunkohlekonsenses eingetreten. Neue Aushandlungsarenen zahlreicher Bürgerinitiativen gegen den Tagebau bestimmten fortan zunehmend die öffentliche Wahrnehmung.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen fand eine Rundfahrt durch das angrenzende Braunkohlegebiet statt. Die Ausführungen zur menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung des Tagesbaus für die Stadt, die Bewohner der Ortschaften, der Ablauf der ‚Umsiedlungen‘ und die Darlegungen zur aktuellen Situation mit dem endgültigen Stopp des Tagesbaus 2030 waren beeindruckend. Die Besichtigung von Alt- und Neu-Keyenberg mit der neu errichteten und 2022 eingeweihten Pfarrkirche und dem Begegnungszentrum St. Petrus sowie der Aussichtspunkt Tagebau Garzweiler Nord haben bleibende Eindrücke hinterlassen.


Vortragsraum


Tagebau
Fotos: Ulrich Helbach

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